Der derzeitige Megatrend „Digitalisierung“ schwebt wie ein Damoklesschwert über der Branche. „Wenn wir nicht schnell genug unsere Prozesse digitalisieren, werden wir den Anschluss verlieren. Digitale Speditionen werden den Markt übernehmen und analoge Akteure wären die Verlierer,“ hört man in der Branche.
Aber ist diese Entwicklung tatsächlich zwangsläufig? Was genau würden die Betriebe verlieren? Kunden? Aufträge?
Weder noch! Die Unternehmen verlieren Eigenständigkeit und Selbstbestimmung!
Wenn wir die Entwicklung der Digitalisierung in der Transport- und Logistikbranche weiterdenken, ergeben sich unterschiedliche Szenarien für die Zukunft. Wie wir die unterschiedlichen Szenarien bewerten, hängt von der eigenen Einstellung zu Unternehmertum und der Konnotation von Risiko und Chancen ab.
Um diesen Gedanken zu fassen, empfiehlt sich ein Blick auf das Wesen der Digitalisierung. Was kennzeichnet die Entwicklung rund um den Megatrend?
Digitalisierung beschreibt die elektronische Vernetzung von Akteuren. Die Beseitigung handschriftlicher Aufzeichnungen zu Gunsten einer Excel-Tabelle ist demnach höchstens als „Elektronisierung“ zu bezeichnen. Die Digitalisierung beginnt erst da, wo Daten zwischen den verschiedenen Akteuren ausgetauscht werden und durch die Auswertung, Zusammenschau und Verbindung der Daten neue Mehrwerte generiert werden.
Das Wesen der Digitalisierung ist per Definition das eines Netzwerkes. Das Netzwerk hat mit zunehmender Dichte eine immer größere Zahl von Verbindungen und Netzwerkknoten. Damit sich die Akteure in diesem Labyrinth bewegen und orientieren können, gibt es Plattformen. Sie erheben sich quasi über das Netz und erlauben einen Rundumblick über die Akteure, Abzweigungen und Wege innerhalb des Dickichts.
Gleichzeitig erlaubt dieser Überblick die stetige Weiterentwicklung des Netzwerkes. Nur wenn alle Knoten untereinander Daten austauschen können, ist der optimale Datenfluss gewährleistet und neue Informationen können aus den Daten heraus generiert werden.
Die Netzwerk- oder Plattformökonomie unterliegt bestimmten Mechanismen. Eben diese Mechanismen unterscheiden sich drastisch von den „Regeln“ der klassischen, analogen Wirtschaft.
Digitale Angebote sind im Allgemeinen frei skalierbar. Ist eine Dienstleistung bzw. eine Plattform einmal aus der Taufe gehoben, sind beliebig viele Kunden aufschaltbar, ohne dass die dahinterliegende Struktur physisch mitwachsen müsste. Die meisten Plattformangebote gewinnen an Mehrwert und Anziehungskraft, mit jedem weiteren Nutzer.
Sind bereits zahlreiche Ihrer Kontakte in einem Netzwerk unterwegs, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch Sie dort Mitglied werden – der sogenannte Netzwerkeffekt.
Je mehr Nutzer auf der Plattform sind, umso mehr Daten werden gesammelt und umso präziser werden die Erkenntnisse, die aus den Daten gewonnen werden. Damit steigt das Servicelevel, dass aus den Daten generiert werden kann. Immer bessere Suchvorschläge werden dem Nutzer unterbreitet. Immer passgenauer werden die Angebote – der Skaleneffekt.
Schlussendlich kommt der Lock-In-Effekt zum Tragen. Haben sich die Nutzer erst einmal tiefgreifend in die Plattform integriert, wird ein Wechsel zu einer anderen Plattform immer aufwendiger und damit unwahrscheinlicher.
Diese Effekte führen unter anderem dazu, dass digitale Märkte einem starken Drang zur Monopolisierung unterliegen. In der „normalen“ Welt gehen Sie zur zweitbesten Eisdiele, wenn bei Ihrem Lieblingsladen eine 50 Meter Schlange steht. In der digitalen Welt gibt es keinen Grund, nicht den Marktführer zu wählen.
Die Rolle der (digitalen) Spedition
Im Falle der Transportbranche übernehmen unter anderem digitale Speditionen die Rolle der Plattform. Sie werden stetig besser darin, das Netzwerk zu lesen und weiterzuknüpfen. Und im zunehmenden Maß steuern sie die Akteure innerhalb des Netzwerkes. Gelingt es einer dieser Transportplattformen erst einmal, sich nach den oben genannten Regeln als Marktführer zu positionieren, bleibt für die restlichen Akteure nicht mehr viel Raum.
Digitalen Speditionen haben nicht die physischen Produktionsmittel, um das Transportaufkommen eigenständig abzuwickeln. Sie sind auf die Zusammenarbeit mit klassischen Speditionen und Frachtführern angewiesen. Dazu werden digitale Speditionen diese „Erfüllungsgehilfen“ integrieren. Sie bekommen eine Schnittstelle als Eintrittstor in die digitale Welt und einen GPS-Tracker für jeden Lkw.
Schlagartig ist der bis dato analoge Frachtführer digital. Diese Darstellung ist drastisch vereinfacht. Aber der Sache nach entspricht das dem Prozess.
Der Frachtführer kann seine Dienste am Endpunkt dieser Entwicklung nur noch über die Plattform anbieten und ist darauf angewiesen, dass er über die Schnittstelle Angebot und Aufträge bekommt. Verstößt der Frachtführer gegen das Regelwerk oder fällt aus anderen Gründen aus der Gunst der Plattform, ist der Betrieb lahmgelegt.
Natürlich ist jeder Betrieb grundsätzlich in der Lage, aus sich heraus die Digitalisierung des eigenen Unternehmens und die Vernetzung mit Partner und Kunden voranzutreiben. Er steht dabei aber vor verschiedenen Herausforderungen.
Allem voran ist es eine Herkules-Aufgabe, eine Digital-Strategie zu entwickeln. Die Schwierigkeit dabei liegt nachvollziehbarer Weise in der Vernetzung der Akteure. Das Konzept kann nicht erstellt werden, ohne die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Kunden und Partner zu berücksichtigen. Letztlich ist die Bereitschaft zur Anbindung der Kunden das entscheidende Kriterium. Und diese Bereitschaft dürfte steigen, wenn sich einheitliche Datenstandards und Plattformen herausbilden. Individuelle Digitalisierungsbemühungen passen nicht in dieses Bild.
Letztlich hat damit die Digitalisierung des eigenen Unternehmens enge Grenzen. Eine vollständige Daten-Integration der Prozesse und Kunden ist zwar zum Vorteil aller Akteure. Das Kundenerlebnis bleibt dennoch stets suboptimal, wenn keine Anbindung an eine Plattform im Hintergrund steht. Der Kunde muss für jeden Spediteur, der für ihn tätig ist, eine jeweils andere digitale Lösung bemühen. Der Kunde hat damit ein vitales Interesse an einer Plattform, über der er alle Interaktionen steuern kann.
Quo vadis?
Die Transportbranche ist seit jeher stark kundengetrieben. Und für den Kunden hat eine Plattformanbindung fast nur Vorteile. Die Digitalisierung der Transportbranche wird daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine Zentralisierung hinauslaufen. Die Frachtführer und klassischen Speditionen werden mittelfristig an eine Plattform andocken müssen, um Kunden zu bedienen.
Der generierte Mehrwert der Plattformen steigt mit jeder angeschlossenen Datenquelle. Doch, je stärker sich die Akteure mit einer Plattform vernetzen umso mehr Kontrolle verlieren sie über die Struktur und die Funktionen des Netzwerkes. Auf einer Plattform mit großer Marktmacht, hat der einzelne Akteur nur noch wenig zu melden.
Wie diese Entwicklung zu bewerten ist, hängt letztlich von der eigenen Wertzuschreibung von „Eigenständigkeit“ ab. Die Aufgabe von Steuerungskompetenz durch den Anschluss an eine Plattform geht einher mit einer ad hoc Digitalisierung des eigenen Betriebes. Mit vergleichsweise geringem Aufwand wird der eigene Betrieb auf ein neues digitales Level gehoben. Im Gegenzug begibt sich der Betrieb in eine Abhängigkeit von der Plattform.
Abhängigkeiten sind per se negativ behaftet. In diesem Fall ist das Versprechen, das digitale Speditionen Frachtführern geben, jedoch verlockend. Der Fuhrpark wird automatisch bestmöglich disponiert und ausgelastet. Sie können jedem Kunden ein digitales Tracking und eine vollständig automatisierte Abwicklung der Aufträge offerieren. Der Unternehmer kann sich entspannt zurücklehnen und auf die Steuerung und Verbesserung der betriebsinternen Prozesse konzentrieren.
Der Spediteur im Selbsteinsatz wird damit auf einen weitgehend digital fremdgesteuerten Akteur reduziert. Mit allen Vor- und Nachteilen. Vorbehaltlich der Bedingung, dass dieses Modell der Aufgabenteilung seine Vorteile für alle Seiten unter Beweis stellt, hat die Idee durchaus ihren Reiz.
Der stetige Druck, den eigenen Fuhrpark auszulasten und stets neue Kunden gewinnen zu müssen, nagt an den Nerven. Manch einer wird diese Last nur allzu gerne abgeben.
Auf der anderen Seite steht die Erkenntnis, dass eine vollständige Plattformintegration nur noch wenig Raum für eigenständige unternehmerische Entscheidungen lässt. Die Differenzierung zwischen dem eigenen Unternehmen und anderen Dienstleitstern wird aus Sicht des Kunden aufgelöst. Es gibt keine Bindung mehr zwischen Kunde und Spedition oder Frachtführer. Die Plattform ist das Gesicht gegenüber dem Kunden. Die Spedition ist der namenlose Erfüllungsgehilfe.
Wettbewerb zwischen Transportdienstleistern könnte dann fast nur noch über wertsteigernde Logistik-Zusatzdienstleistungen erfolgen.
Was bleibt?
Unter dem Strich zeigt das dargelegte Verständnis von Digitalisierung, dass individuelle, auf das eigene Unternehmen begrenzte Digitalstrategien zwangsweise suboptimal bleiben, da sie nicht zu einer vollständigen Vernetzung mit allen Akteuren führen können. Die betriebseigene Digitalisierung kann damit nur eine Brücke bis zur Anbindung an eine dominante Plattform sein.
Folgt man dieser Interpretation bleibt letztlich nur eine Wahl: Will man die Entwicklung solcher Angebote abwarten und sich der Lösung anschließen, die sich am Ende durchsetzt? Oder sollten die klassischen Spediteure und Frachtführer gemeinsam an einem Angebot arbeiten, das alle Vorteile einer modernen digitalen Lösung bietet, das sie aber eigenständig mitgestalten?
Über den Autor
Titelbild spider-web Bild von FixiPixi_deluxe auf Pixabay
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