Die vierte industrielle Revolution, die Digitalisierung der Wirtschaft, tobt mit voller Kraft in den Unternehmen von Industrie und produzierendem Gewerbe. Längst hat die Dynamik der Entwicklung auch die Logistik erfasst. Doch viele Spediteure und Transportdienstleister scheinen sich dem Ernst der Lage nicht bewusst zu sein.
Dazu haben wir mit Prof. Dr. rer. pol. Franz Vallée ein Interview geführt.
ELVIS: Wie beurteilen Sie die Leistungsfähigkeit der Branche im internationalen Vergleich?
Vallée: Logistik made in Germany ist auch heute noch ein Trumpf. Wenn man sich in der Branche umschaut, findet man nach wie vor einige spannende, internationale Projekte. Nichtsdestotrotz müssen wir aufpassen, nicht von anderen Nationen abgehängt zu werden. Die Logistik hierzulande droht vor allem im wichtigen Bereich der Digitalisierung ein bisschen den Anschluss zu verlieren.
ELVIS: Manche Lieferkette ist unter den Belastungen der Pandemie gerissen. Müssen sich die Transportdienstleister deswegen Kritik gefallen lassen?
Vallée: Kritik insofern ja, als dass an vielen Stellen nicht offen genug kommuniziert wurde. Natürlich waren die Unternehmen oft aufgrund der außergewöhnlichen Gegebenheiten schlichtweg nicht in der Lage, alle Lieferversprechen zu halten. Ihnen die alleinige Schuld für die
zahlreichen Lieferprobleme zuzuschieben, wäre deshalb zu kurz gesprungen. Gleichwohl zeigt sich, dass die Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette verbessert werden muss, dass Informationen besser geteilt werden müssen, um künftig schneller und flexibler auf Unwägbarkeiten reagieren zu können.
ELVIS: Wie wird sich das Anforderungsprofil der Branche in den kommenden Jahren verändern?
Vallée: Die Anforderungen an die Logistik werden massiv steigen. Die Spediteure sehen sich schon heute häufig sehr individuellen Kundenwünschen konfrontiert. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Dazu sind die Kunden wegen der fortschreitenden Digitalisierung immer besser informiert und haben hohe ökologische und soziale Ansprüche. Das heißt, das Thema Nachhaltigkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung – sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich, die im Übrigen auch stärker miteinander verschmelzen werden. Der zweite Treiber ist die Entwicklung der Märkte, die globaler und gleichzeitig transparenter und dynamischer werden. Stark beeinflussen werden die Branche aber auch neue Technologien. Die Stichworte lauten unter anderem Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz und Robotik.
ELVIS: Was muss ein Logistiker können, um in diesem Umfeld zu bestehen?
Vallée: Vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt: IT-Knowhow ist zwingend erforderlich. Heute bin ich überzeugt, dass Kenntnisse der klassischen
Informatik allein nicht reichen werden, um die anstehenden Transformationsprozesse erfolgreich zu gestalten. Dafür braucht es zusätzlich Change-Management-Kompetenzen, die Fähigkeit, mit sehr unterschiedlichen Gruppen zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Das Geschäftsmodell des – ich nenne es mal – klassischen Palettenschiebers wird keine auskömmlichen Margen mehr abwerfen. Intensiv beschäftigen müssen sich die Unternehmen aber auch mit dem Thema Nachhaltigkeit – und zwar sowohl bezogen auf die eingesetzten Technologien als auch auf den Umgang mit ihren Arbeitnehmern.
ELVIS: Die Transportbranche ist mittelständisch geprägt. Wo sehen Sie für die Unternehmen die größten Zukunftsgefahren?
Vallée: Die größte Gefahr sehe ich darin, dass die Chancen der Digitalisierung unterschätzt und daraus keine Wettbewerbsvorteile gezogen werden. Ein Logistiker, der diesbezüglich die Zeichen der Zeit nicht erkennt, wird potenziellen Kunden die Frage, warum man gerade ihn mit dem Auftrag betrauen sollte, schon bald nicht mehr zufriedenstellend beantworten können.
ELVIS: Obwohl sie für unsere Gesellschaft elementar ist, hat die Branche ein eher schlechtes Image. Warum eigentlich?
Vallée: Die Logistik hat es jahrelang versäumt, Selfmarketing zu betreiben. Sie ist in vielen Bereichen besser als ihr Ruf, hat ihre Erfolge aber nicht gut genug kommuniziert. Das ist der eine Punkt. Ein anderer sind die nach wie vor sehr niedrigen Löhne, die in der Branche gezahlt werden. In Kombination mit der Erwartung vieler Online-Käufer, für den Versand bestellter Waren nichts zahlen zu müssen, hat sich im Laufe der Zeit der Eindruck verfestigt, dass logistische Leistungen umsonst zu haben sind. Und was nichts kostet, ist in der öffentlichen Wahrnehmung eben auch nichts wert. Das ist Gift fürs Image und auch nicht nachhaltig.
Über den Interviewpartner
Titelbild highway von flo222 auf Pixabay
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Google Maps. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen